Die Master Thesis entstand begleitend zum Master Entwurf bei Alexander Flohé im Forschungsbereich Stadtsoziologie und Stadtforschung. Auf 162 Seiten wird der Versuch gestartet, die Bebauung peripherer Gebiete Berlins zu legitimieren und es vor Allem besser zu machen, als in der Kernstadt. Wie? Indem zunächst das zu großen Teilen kapitalistisch geprägte Versagen der Wohnungspolitik der letzten Jahrzehnte aufgezeigt wird und neue Strategien und Modellprojekte hervorgehoben werden.
Mietenwahnsinn unter dem Deckmantel des Landes
Auszug aus der Master Thesis S.39-41
Lange Zeit zählte Berlin zu einer der günstigsten Metropolen Europas. Gezeichnet durch Extreme und politische Paradigmenwechsel hat sich das Bild Berlins enorm gewandelt. Gerade der Wohnungsmarkt hat aufgrund beträchtlicher politischer Fehlentscheidun- gen außerordentlich gelitten. Die mietenpolitischen Proteste der letzten Jahre kann man als Seismografen der Wohnungskrise lesen15. Seit Anfang der 90er Jahre hat sich die Anzahl der Sozialwohnungen von über 370.000 Wohnungen auf knapp 116.000 Woh- nungen, Stand 2017, verringert. Bereits im Jahr 2006 prognostizierte die Investitionsbank Berlin in ihrem Wohnraumbericht, dass der Anteil der Berliner Sozial- wohnungen um 40% sinken wird16. Berlin hat sich auf schleichendem Weg zu einer Stadt in der Wohnungskrise entwickelt. Steigende Mieten, ein klaffendes Loch an bezahlbaren Wohnungen und eine schlechte Neubauquote an Sozialwohnungen sind das Ergebnis der Wohnungspolitik der letzten Jahrzehnte. Wie lässt sich das erklären?
Seit 1972 wurde der soziale Wohnungsbau nicht mehr nur ausschließlich durch die öffentliche Hand finan- ziert und verwaltet, sondern in public private partner- ship Prinzip. Dabei gibt der Staat Geld in einer Höhe an die Eigentümer*innen, die trotz der Auflagen von bestimmten Miet- und Belegungsbindung die Lukrativität der Immobilien garantieren. Die Lücke zwischen der Kostenmiete und der eigentlich erhobenen Miete, der Sozialmiete, wird dem System nach durch die Förderung gedeckt. Hierbei darf man nicht vergessen, dass in der Berechnung der Kostenmiete nicht nur die Kosten der Bewirtschaftung, sondern auch feste Gewinne für die Eigentümer*innen mit einkalkuliert wurden17. Somit schließt man jegliche Investitionsrisiken, die man an anderer Stelle auf dem freien Markt hätte, sofort aus. Das macht den sozialen Wohnungsbau als Investitionsanlage zu einem lukrativen Förder- programm für Wohnungsbaugesellschaften. Das führ- te langfristig zu einer Privatisierung des kommunalen Wohnungsbestandes. Heute gehört nur jede dritte Sozialwohnung in Berlin den landeseigenen Wohn-ungsbaugesellschaften, Stand 2012. Hinzu kommt, dass die kommunalen Wohnungsbaugesellschaften degewo, Gesobau, Gewobag, Howoge, Stadt und Land und WBM mittlerweile einen viel wirtschaftlich orientierten Kurs fahren und ihre sozialpolitische Aufgabe zu Teilen verfehlen.
Auf der Website der Landeseigenen findet sich ihre Agenda: Die sechs Landeseigenen sind und bleiben eigenständige, privatwirtschaftlich und effizient organisierte Unternehmen – mit besonderem gesetzlichen Auftrag18.
Die Entwicklung der Förderpolitik ist zurückzuführen auf die politischen und gesetzlichen Gegebenheiten der Nachkriegszeit. Kann man also jetzt die legitime Frage stellen, ob das System überhaupt noch zeitgemäß ist? Im Vergleich zu anderen Ländern wie Frankreich etwa, wo der Sozialbau im staatlichen Besitz bleibt, liegt die Belegungsbindung hier in der Regel zwischen 20 und 30 Jahren. In den letzten Jahren sind demnach etliche Wohnungen aus der Bindung rausgefallen und ab jetzt Teil des freien Marktes. Demzufolge sinkt die Zahl der Sozialwohnungen dramatisch, da nicht im gleichen Maße gebaut wird, wie abgebaut wird. Beispielsweise gab es Ende des Jahres 2017 knapp 49.000 Sozialwohnungen weniger, als ein Jahr zuvor. Wie kann man soziale Wohnungsversorgung nachhaltig und langfristig sichern? Die Art der sozialen Zwischennutzung auf Kosten der Mieter und zugunsten der Investoren muss ein Ende haben, denn: Am Ende sind die Mieter*innen die Leidtragenden. 2014 lag die durchschnittlich zulässige Sozialmiete bei 7,33€/m2 und somit 26% höher, als die durchschnittliche Miete in Berlin19. Die Zeche zahlen die Mieter*innen )
Berlin ist ein Härtefall des politischen Versagens und schneidet im Vergleich zu anderen Städten schlecht ab. In den letzten 12 Jahren hat Berlin lediglich 12.880 Sozialwohnungen errichtet. Hamburg hingegen hat in der Zeit 28.500 geschafft20. Auch in den letzten zwei Jahren wurden die Ziele der rot-rot-grünen Regierung nicht eingehalten: Statt der versprochenen 8.500 Wohnungen gab es nur 5.80021. Die Zahlen der tatsächlich gebauten Wohnungen und der Fakt, dass durchschnitt- lich mehr Fördermittel verbraucht werden, als die einzelne Wohnung kostet, zeigen, dass die heutige Förderpolitik ein unbrauchbares Instrument der sozialen Wohnraumproduktion ist. Stattdessen müssen wir über informellere Instrumente, Genossenschaften* und Erbbaurecht sprechen. Durch Selbstverwaltung und Ko-Produktion können wir gemeinwohlorientierte Stadt erreichen.

Quellen
15 Vgl Bock, Christina; Pappenberger, Ulrich; Stollmann Jörg: Das Kotti Prinzip S.28, Berlin 2018
16 Vgl Beweglich in die Zukunft gewobag https://berichte.gewobag.de/file- admin/assets_2019/PDF/Gewobag2019_Geschaefts-und-Nachhaltigkeitsbe- richt_HGB.pdf
17 Vgl Holm, Andrej: Wirtschaftsförderung mit sozialer Zwischennutzung in: Die Legende vom Sozialen Wohnungsbau S.54; Berlin 2016
18 Vgl Sechs Unternehmen für Berlin: Engagiert, erfolgreich und entschei- dend anders: die Landeseigenen https://inberlinwohnen.de/die-lan- deseigenen/
19 Vgl Holm, Andrej: Die Zeche zahlen die Mieter*innen: Die Legende vom Sozialen Wohnungsbau S.84; Berlin 2016
20 Vgl Tagesspiegel: Berlin hat es komplett versemmelt; https://www.ta- gesspiegel.de/wirtschaft/immobilien/ sozialer-wohnungsbau-berlin-hat-es- komplett-versemmelt/24478758.html
Vgl 21 Tagesspiegel: Berliner Senat verfehlt Ziele beim Sozialen Woh- nungsbau; https://www.tagesspiegel. de/berlin/wegen-umweltauflagen- und-hoher-kosten-berliner-senat-ver- fehlt-ziele-beim-sozialen-wohnungs- bau/26756262.html

Ko-Produktion auf dem Land?
Auszug aus der Master Thesis S.114-116

»Cities have the capability of providing something for everybody, only because, and only when, they are created by everybody.«48 Jane Jacobs hat schon früh gegen eine zu feste Form von Stadt rebelliert, in der manifestierte Nutzungen wenig Entfaltung zulassen. Das ist nicht zuletzt der Privatisierungspolitik zuzuschreiben, denn sobald der Boden verkauft ist, verliert man Handlungsspielraum. Wenn aber die Sicherung des Bodens durch Eigentümer*innen wie dem Land Berlin und CLT`s wie der Stadtbodenstiftung gegeben ist: Wie lässt sich der Ethos eines offenen Stadtlaboratoriums jetzt auf die Randstadt übertragen? Plurale Planungsprozesse zwischen Stadtgesellschaft, Planer*innen, Nutzer*innen und den Eigentümer*innen sind gefordert. Partizipationsprozesse, wie wir sie heute in Projekten sehen, werden eher als informierend verstanden - Stattdessen soll die Gesellschaft strukturell gestaltend und niedrigschwellig in den Prozess mit eingebunden werden. Wir sehen an den Protesten und Demonstrationen, dass die politische power der Berliner*innen ( und der Glaube an das Kollektiv ) da ist: An den stigmatisierten Stadtrand ziehen wird dann zur Option, wenn das soziale Netzwerk mitzieht, unterstützt, womöglich selbst vor Ort ist - wenn der urban farming workshop nicht mehr auf dem Leopoldplatz, sondern auf dem neuen Dorfplatz am Buchholzer Graben stattfindet. Die Gegenposition zur verbauten, festen Form von Stadt, die neue Räume nur schwer zulässt, kann die Offene Stadt(landschaft) sein. Richard Sennett nutzt in seinem Buch „Ethics for the City - buildings and dwellings“ die Begriffe der ville und der cité,49 um auf die Bedeutung der Beziehung zwischen urbaner Planung und eigentlichem Leben in der Stadt aufmerksam zu machen. Die geplante ville darf dabei nicht die Möglichkeiten der belebten cité einschränken, sondern vielmehr die Möglichkeit der Vielfältigkeit und Flexibilität bieten. Wir müssen Stadtproduktion als Labor verstehen, in dem experimentiert wird, zwischen genutzt, aufgebaut und abgerissen wird. Dieses Verständnis hilft nicht nur, mehrere Partizipierende im Prozess einzubinden, sondern auch, das Gebaute nicht als unveränderbar anzusehen.
Ein Szenario: Versteht man diese neue Form des Stadtlabors, muss man gleich zu Anfang sagen, dass jeder Versuch als zunächst fremder und neutraler Prozess gesehen werden muss: Positionen müssen neu verhandelt werden, Räume werden abgesteckt, Möglichkeiten werden definiert. Das sieht man auch an den beiden Beispielen des Haus der Statistik und dem Dragoner Areal: Es finden sich in den Koop`s zwar ähnliche Akteur*innen vor, diese sind trotzdem unabhängig voneinander durch vorgeschaltete Aushandlungsprozesse individuell entstanden. Wir können uns demnach in „learning from“ Manier von Versuch zu Versuch hangeln (und auch vernetzen!), aber Verhandlungen jedes Mal neu entstehen lassen.
Ein Beispiel: Die Stadtbodenstiftung hält mehrere unterschiedliche große Grundstücke auf dem neuen Plangebiet und will dies auf Basis des Erbbaurechts an Genossenschaften und Vereine vergeben. Wie geht man vor, etwas zu ko produzieren, wo es (noch) wenig urbanen Kontext gibt? Wir bleiben bei der Form des Stadtlaboratoriums und probieren aus. Mithilfe von Vierkanthölzern, Zelten und LKW Planen werden verschiedene Stadtgefüge ausprobiert. Auf diese Weise kann man bestehende Strukturen und Bewohner*innen in den Prozess einbinden und gemeinschaftlich festlegen: Was fehlt eigentlich? Entstandene Ideen aus dem Labor können durch Pioniere entstehen: Die Organisation „Ort-schaft-Material“ braucht mehr Platz, als ihr am Haus der Statistik zur Verfügung steht und findet durch die Konzeptvergabe der Stadtbodenstiftung eine Parzelle, gut angebunden an den Berliner Außenring und somit auch an das headquarter am HdS. Es wird eine Halle in kostengünstiger und gleich- zeitig vielschichtig nutzbarer Leichtbauweise erstellt, die aber nur 60% der Parzelle belegt. Die weiteren 40% sind für Installationen im Freien gedacht, bei denen der Versuch gestartet wird, das Bewusstsein für das Bestehende in der Umgebung zu schärfen und das für neuartige Materialen zu nutzen. Der Außenraum dient als Experimentierfeld und Ausstellungsfläche für Interessierte zugleich. Es entsteht Kommunikation zwischen einzelnen Akteur*innen der neuen Randstadt und die Experimentierfelder agieren als Inkubator.
In diesem Fall kann das Projekt Innen Stadt Außen von der Bodenknappheit der Kernstadt profitieren. Die Suche nach Verbündeten ist in diesen Zeiten leicht. Durch gemeinwohlorientierte Belegungsvorschriften werden Akteur*innen aus dem Umland und der Stadt gewonnen, die als Pioniere die ersten Aneigner des Hinterlands verkörpern. Öffentlicher Raum kann neu verhandelt werden und als Ort der Konfrontation, Begegnung und Austausch Aller verstanden werden. Das Regelwerk im Hinterlande Code sichert den Laborcharakter.

Quellen
48 Jacobs, Jane: Some myths about diversity in: The Death and Life of Great American Cities S.238, New York City 1961
49 Richard Sennett prägt diese Begriffe maßgeblich in seinem Buch „Ethics for the City - buildings and dwellings“ oder "Die offene Stadt - Eine Ethik des Bauens und Bewohnens"; Berlin 2018
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