Wenn man anfängt Debatten über Rechtspopulismus in der Stadtplanung zu führen, gilt es zunächst, diese Begrifflichkeiten für jedermann zu definieren. Wir können in diesen Debatten eine gewisse Instrumentalisierung von Begriffen, gern genutzt und angeheizt durch den Drang nach medialer Wirksamkeit, beobachten. Umso essenzieller ist es, die Nutzung dieser Begriff- lichkeiten für Themenfelder zu hinterfragen und zu schärfen. Rechtspopulismus ist eine poli- tische Strategie. Dort, wo Strategien und Methoden planmäßig angewendet werden, werden Symbolik und Definition unscharf. Gerade das Wort „Populismus“ ist in Zeiten von starkem Rechtsruck und Gegendruck wertgeladener denn je und verliert teilweise an Gehalt. Der Walter-Benjamin Platz hat eine große Debatte ausgelöst, die diese Begriffsdefinitionen fordert. An- hand der Bebauung des Architekten Hans Kollhoff starte ich den Versuch, Begriffsarbeit mittels Ortsanalyse zu leisten.

Politischer Tiefschlag
Wir sprechen hier von einer 2001 fertig gestellten Bebauung inmitten von Charlottenburg, die einen Stadtplatz mit der Größe von 32m Breite und 108m Länge gefasst von einer Randbebau- ung in Berliner Traufhöhe beschreibt. Die spiegelsymmetrische Bebauung beinhaltet Gewerbe und Gastronomie auf Erdgeschossebene, darauf folgen Eigentumswohnungen im gehobenen Preissegment. Dabei ist unumstritten, dass sich die Architektur auf faschistische Vorgänger be- zieht, präziser gesagt auf einen ganz bestimmten Ort im italienischen Turin: Die Via Roma, geplant von Mussolinis Hofarchitekten Marcello Piacentini. Proportion und Materialität lassen die Abstreitung dieses baulichen Zusammenhangs gar nicht erst zu. Auf dem großzügigen, frei zugänglichen Stadtplatz findet sich in einer scheinbar beliebigen Position eine Bodenplatte mit dem Zitat: „Bei Usura hat keiner ein Haus von gutem Werkstein. Die Quadern wohlbehauen, fugenrecht, dass die Stirnfläche sich zum Muster gliedert.“ - Autor und Herkunft unkommen- tiert. Das Zitat stammt aus Ezra Pounds bekanntem Werk „Cantos“, entstanden um 1936. Zu dieser Zeit war der US-amerikanische Schriftsteller bereits nach Italien ausgewandert, er hatte sich dem Faschismus gewidmet und war Befürworter Mussolinis.
Der Vorwurf einer politisch problematischen Programmierung dieses Stadtraumes passiert demnach auf zwei Ebenen: die der architektonischen Stilähnlichkeit zu Piacentini und die der Zitierung Pounds. Instrumentalisierung von Baukultur ist nichts Neues. Politische Machtkämp- fe werden seit Jahrhunderten auf städtischem Boden geführt. Dabei wird Architektur für die jeweiligen Zwecke genutzt. Aber tun das nicht Stadtplaner*innen und Architekt*innen tag- täglich? Kollhoff äussert sich 2013 zu den Vorwürfen und weist die Unterstellung einer politi- schen Absicht zwar von sich, die Frage nach der Verantwortung von Planern, sich politischen Aussagen von Gebauten bewusst zu werden, bleibt dennoch. Grundsätzlich lehnt Kollhoff die Herstellung eines Zusammenhangs zwischen gesellschaftlichen und architektonischen Formen ab, was in Anbetracht der Baukosten und der Bewohnerstruktur an diesem Beispiel zumindest teilweise schizophren scheint.

Zugänglichkeit
Kollhoff sagt, dass architektonischer Stil nicht als spezifisch faschistisch oder nationalsozialis-
tisch betrachtet werden kann. Dem würde der Architekturkritker Stephan Trüby höchstwahr- scheinlich Recht geben. „Es gibt keine per se rechte oder linke Architektur. ( ... ) Aber es gibt rechte Räume.“ Der Vorwurf von Antisemitismus am Beispiel Walter-Benjamin-Platz liegt in der Luft. Vor Ort kann man als Passant*in zwar eher durch Zufall auf das Zitat stoßen, die mediale Aufmerksamkeit jedoch ist seither groß. Schaut man sich dann an, auf welcher Ebene die Debatte geführt wird, nämlich zwischen Kollhoff als direktem Betroffenen und angesehenen Architekturkritikern wie Stephan Trüby oder Niklas Maak, zwischen der ZEIT und der FAZ, dann wird klar, dass es sich hierbei um eine ( polemische ) Auseinandersetzung auf Intellektuel- len-Basis handelt. Populismus im klasssichen Sinne lebt von der gesellschaftlich unabhängigen Zugänglichkeit. Ist das Konstrukt „rechte Räume“ demnach ein Problem der Intellektuellen? Zugang zu dieser Art Diskussion hat der*diejenige, der den Feuilleton der Zeitung liest. Es bleibt dennoch der Vorwurf von fehlender Verantwortung und Öffentlichkeitswirksamkeit von Architektur. Trüby wirft Kollhoff in diesem Zusammenhang ganz spezifisch vor, er habe mehr Wissen über Pound, als ein durchschnittlicher Literaturwissenschaftler. Er wisse also, was er tut. Können Antisemiten diesen Ort für sich und ihre Aufmerksamkeit nutzen?
Dieser spezifische Stadtraum steckt im Grunde voller Widersprüche. Die Auswahl des Pound Zitats ist für Kollhoff eine offene Kritik an der heutigen Produktion von Architektur. Hierbei hat er Pounds antisemitisch konnotierte Kapitalismuskritik für sich genutzt. Er bemängelt die zunehmende Relevanz von Vermarktung und die damit einhergehende Transformation von Bürger*innen zu Konsument*innen. Dabei ist der Gebäudekomplex ein Paradebeispiel für in- vestorengetriebene Architektur und die Kapitalisierung von Wohnraum fernab von Kollhoffs Forderung nach mehr Stadt im Sinne der Ideale des 19. Jahrhunderts. Die blackstone-group als Bauherrin ist eine Investmentgesellschaft, die Immobilien baut, um Renditen zu generieren.
Der viel tragischere Widersprich ist die fiktive Konfrontation von Walter Benjamin und Ezra Pound, die einen nachdenklich zurücklässt: Benjamin als jüdischer Philosoph, der auf der Flucht vor der Gestapo 1940 an der französischen Grenze Selbstmord beging auf der einen Seite und Ezra Pound als Unterstützer Mussolinis, der antisemitische Propaganda betrieb auf der ande- ren. Diese Konfrontation ist nachträglich entstanden. Der Name des Platzes entwickelte sich nach Fertigstellung auf Anregung zweier Fraktionsmitglieder der SPD Charlottenburg-Wilm- ersdorf, da der Stadtteil Benjamins Geburtsort war.
Kollhoffs vehemente Ablehnung, sich zeitgenössischen gesellschaftspolitischen Fragestellungen auch baulich zu widmen, ist erschreckend, egal auf welcher Ebene. Das Zitat selber und der anschließende Umgang mit Kritik lösen Ambivalenzen aus in Bezug auf die Architektur. Aber kann man das Werk 1:1 mit dem Künstler gleichsetzen? Müssen Architekten mit ihren Bau- ten politische Haltungen vorgeben? Die Trennung von Werk und Künstler definiert diese als „unantastbare Genies“, die somit von der Verantwortung freigesprochen werden. Unsere Auf- merksamkeit ist in dem Fall unser wichtiges politische Gut. Wir sollten uns also fragen, ob man Haltungen und Interpretationen einfach durchwinken sollte, nur weil sie uns als Kunst, oder in dem Fall, Architektur begegnen.
Tippt man „Walter-Benjamin-Platz“ in bekannte Bildersuchmaschinen ein, findet man ein bunte Mischung an Abbildungen von Pounds Zitat und einem Platz behangen mit bunten Re- genschirmen und Skulpturen, zwischen faschistisch anmutendem Platzraum und schneibar normalen belebten Stückchen Berlin. Der Zwiespalt ist auch hier deutlich spürbar. Der Wal- ter-Benjamin-Platz ist zum Schauplatz einer ideologischen Symboldebatte geworden, bei dem es keinen klaren Sieger gibt. Es bleibt offen, für wen er Populismus ist.
Am 27. Januar 2020 wurde die Platte im Auftrag der Immobiliengesellschaft entfernt.
Quellen
„Es gibt keine per se rechte oder linke Architektur“, Interview Stephan Trüby und Martin Tschechne in: ZEIT, 12.Juni 2019; aufgerufen 31.01.2021 https://www.zeit.de/kultur/2019-06/stephan-trueby-architektur-professor-rechte-raeume-kritik?page=2#- comments
Hans Kollhoff Projekte; aufgerufen 31.01.2021
http://www.kollhoff.de/de/PROJEKTE/Bauten/55/Walter-Benjamin-Platz--Leibnizkolonnaden.html
Ein Ideologischer Showkampf einer verirrten Symbolpolitik, Strauss, Simon in: FAZ, 19.Juni 2020; aufgerufen 30.01.2021 https://www.faz.net/aktuell/feuilleton/debatten/verirrte-symbolpolitik-streit-um-berliner-walter-benja- min-platz-16865243.html
Antisemitische Flaschenpost?, Maak, Niklas in: FAZ, 30.Mai 2019
https://www.faz.net/aktuell/feuilleton/debatten/streit-zu-zitat-von-ezra-pound-im-walter-benjamin- platz-16210829.html?_ga=2.6198451.1230185425.1612095632-901019165.1612095632& premium
Rechts in der Mitte: Hans Kollhoffs CasaPound, Hartbaum, Verena in: arch+ Ausgabe 235, Mai 2019
https://www.google.com/search?q=walter+benjamin+platz&sxsrf=ALeKk01k4EyfSk4YUPSom- flACZRC3RQAfw:1615799529611&source=lnms&tbm=isch&biw=1440&bih=613; aufgerufen 10.03.2021
https://www.fluter.de/trennung-k%C3%BCnstler-werk-pro-contra; aufgerufen 10.03.2021
Bild: Google Earth
( Nachtrag zu den Quellen: Gerne hätte ich mich auch in einschlägigen Foren wie „kohlchan“ dazu informiert, inwiefern diese Diskussion auch Einzug in die rechten Szene findet, der Zugang war mir aber aufgrund einer fehlenden Verschlüsslungssoftware nicht möglich. )


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